9. Württembergischer Betreuungsgerichtstag

Pressemitteilung

200 Fachkräfte tagen an der Hochschule Ravensburg-Weingarten

2013-betreuungsgerichtstag

„Betreuer sitzen manchmal zwischen allen Stühlen“, meinte Martina Hermann auf dem 9. Württembergischen Betreuungsgerichtstag an der Hochschule Ravensburg-Weingarten. Die Expertin vom Betreuungsverein der Stiftung Altendank der KSK Göppingen e.V. brachte mit diesem Bild das Spannungsfeld zwischen Autonomie und Fürsorge auf den Punkt. 200 Fachkräfte, Betroffene sowie Vertreter der Politik diskutierten über die Frage: Wann sind Zwangsmaßnahmen bei psychisch kranken Menschen noch zulässig?

„Das Bundesverfassungsgericht“, so erläuterte Professorin und Organisatorin Christel Michel, „hat die bisherigen Vorschriften zu Zwangsmaßnahmen für verfassungswidrig erklärt.“ Der Bundestag habe daraufhin am 17. Januar 2013 das Betreuungsrecht modifiziert. Somit sei eine Unterbringung „nur noch zulässig zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens.“

Was unter einem „erheblichen gesundheitlichen Schaden“ zu verstehen ist, darüber herrschte auf dem Betreuungsgerichtstag nicht nur Einigkeit, wenn Michael Michael Lehmann, Direktor des Amtsgerichts Backnang, auch auf einen wichtigen Aspekt hinwies: Manche Personen, die zwangsbehandelt wurden, seien hinterher dankbar gewesen, weil ein größerer Schaden verhindert worden sei. Schwierig sei es jedoch, in der Psychiatrie eine Zukunftsprognose zu erstellen. Bestätigt wurde diese Einschätzung von Professor Dr. med. Tilman Steinert von der ZfP Südwürttemberg Weissenau. Laut dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie gibt es „keine gesicherten Erkenntnisse, unter welchen Bedingungen Psychopharmaka eine dauerhafte psychische Erkrankung verhindern.“

Nach Ansicht von Professorin Christel Michel muss nun auch das „Landesrechtliche Unterbringungsrecht“ geändert werden. Hierzu gebe es einen Entwurf, der in die fachliche Anhörung des Landesparlaments gegangen ist. Danach soll künftig eine Zwangsbehandlung möglich sein, um erheblichen gesundheitlichen Schaden für Betroffene abzuwenden, um ein möglichst selbstbestimmtes eingegliedertes Leben in Freiheit zu ermöglichen und um Lebensgefahr oder akute schwerwiegende Gefahr von Dritten abzuwenden.

Manche Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Betreuungstags sahen diese Begründungen als kritisch, wie in der Podiumsdiskussion, moderiert von Heike Ewert, deutlich wurde. Der Verband der Psychiatrieerfahrenen akzeptiert „Zwangsmaßnahmen nur bei Fremdgefährdung“, wie Gabriele Brenner vom Landesverband Psychiatrieerfahrener e.V. (LVPEBW e.V.) erläuterte. Die anderen Begründungen werden vom Verband als „Einfallstor für schnelle Zwangsbehandlung“ angesehen. Zwangsbehandlungen, so Gabriele Brenner, verhinderten die Auseinandersetzung mit der Ursache der Krankheit. Ein sanftes Hindurchführen durch eine Psychose sei dann nicht mehr möglich und man nehme den Personen die Chance auf Heilung.

Professor Tilman Steinert wies darauf hin, dass schon heute Zwangsbehandlungen sehr selten geschähen. „Wir sprechen hier wirklich von sehr wenigen Fällen, Zwangsmaßnahmen werden nur als Mittel der letzten Wahl eingesetzt, wenn gar nichts anderes mehr geht.“ Allerdings hätten die Experten keinerlei Zahlen zur Verfügung, wie oft zwangsbehandelt würde. Deshalb plädierte Steiner für die Einführung einer Statistik.

Martina Hermann vom Betreuungsverein der Stiftung Altendank setzte sich dafür ein, Betreuer früher zu bestellen. Problem sei, dass Betreuer oft sehr spät bestellt würden, wenn kaum noch eine andere Maßnahme möglich sei. „Zum Wohl der Betreuten“, so Martina Hermann, „können wir zu diesem Zeitpunkt kaum noch wirklich beitragen, wir stehen enorm unter Druck.“ Um den Willen des Betreuten kennenzulernen, brauche man aber Zeit für den Beziehungsaufbau. Die Lösung liegt nach Regine Schweiger von der Betreuungsbehörde des Landratsamts Göppingen im Aufbau unterstützender sozialer Netze im Gemeinwesen, um Verhaltensmuster frühzeitig zu erkennen und schon im Vorfeld deeskalierend einzugreifen. „Dazu“, forderte Regine Schweiger, „braucht es eine enge Zusammenarbeit aller involvierten Dienste und Einrichtungen und Ärzte.“